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„In den Sümpfen der Biebrza: Warten auf Bardot”

In dem Tal, durch das sich die Biebrza schlängelt, gibt es nicht nur Wölfe, Elche, Ornithologen und die Hoffnung auf den Ökotourismus. In Polens größtem Nationalpark lebt auch der vielleicht geselligste Einsiedler der Welt.

 

Tatort Grzedy, mitten im Herzen des Biebrza-Nationalparks im Nordosten von Polen. Katarzyna Ramotowska beugt sich über die Tote. Aufmerksam untersucht sie die Spuren. Außer dem Schädel, ein paar Rippen und einigen Haaren ist kaum mehr etwas übrig. Die 30-Jährige ist sich sicher: Es sind die sterblichen Überreste einer älteren Elchkuh – gefressen von Wölfen.

 

Ein Tötungsdelikt scheidet jedoch aus, erklärt die Expertin. Wölfe würden es nicht wagen, einen erwachsenen Elch anzugreifen. Das Tier müsse eines natürlichen Todes gestorben sein. Ein paar Schritte weiter finden sich die Exkremente eines Wolfes. Die Biologin liest daraus wie aus einem Buch: Der Kot ist weiß, das Tier hat sich also hauptsächlich an den Knochen des Elchs gütlich getan. Kombiniere: Die Hinterlassenschaft stammt von einer jungen Wölfin, weit unten in der Hierarchie. Alpha-Tiere suchen sich die Filetstücke aus, Knochen rühren sie nicht an.

Wölfe zählen zu den größten Attraktionen des Parks. Bis zu sechs Rudel leben zeitweise darin. Zu Gesicht bekommen Besucher die scheuen Tiere jedoch nur ganz selten. Selbst Ramotowska, die fast jeden Tag in den Sümpfen verbringt, begegnet höchstens zwei- bis dreimal im Jahr Wölfen. Erfolgreicher gestaltet sich da schon die Elch-Safari. Mit dem Fernglas lassen sich von geeigneten Aussichtspunkten aus immer mal wieder Elche entdecken, die den Kopf aus dem Schilf recken.

 

Mücken und Misstrauen

 

164 Kilometer lang schlängelt sich die Biebrza, einer der letzten frei fließenden Flüsse Europas, durch Wiesen und Täler. Im Frühjahr überflutet sie Riesenflächen und schafft damit eine einzigartige Naturlandschaft. 1993 wurde das 60.000 Hektar große Gebiet zum Nationalpark erklärt. Neben den Wölfen sind hier 500 Elche, zahlreiche Hirsche, hundert Biberfamilien, Fischotter, Dachse und mindestens ein Luchs zu Hause. Gesellschaft leisten ihnen zum Leidwesen der Touristen Milliarden von hungrigen Mücken. Außerdem wachsen 900 Pflanzenarten in dem Sumpfgebiet, darunter allein 18 Orchideenarten. Am bekanntesten jedoch ist das Biebrza-Tal für seine Vögel. 270 Arten gibt es hier, darunter viele, die andernorts längst ausgestorben sind.

 

 

Der Nationalpark zieht immer mehr Ökotouristen an. Auch die einheimische Bevölkerung erkennt inzwischen die Chance, die sich ihnen dadurch bietet. Das war nicht immer so. Anfangs standen viele dem Nationalpark sehr skeptisch gegenüber. Einmal sägten sie sogar einen Aussichtsturm ab. Auch Wilderei gibt es. Doch mittlerweile ist der Widerstand gegen den Park fast verschwunden. Das Misstrauen der Bauern aus der Gegend abzubauen ist seit 1997 auch eines der größten Anliegen des Projekts „Biebrza Nationalpark” des Worldwide Fund for Nature (WWF).

Die Gegend, durch die die Biebrza fließt, war ein Gebiet, in dem es außer verarmten Bauern nichts gab, erzählt der Leiter des Projekts, Przemek Nawrocki. „Sie wollten nur weg von hier. Viele sind ausgewandert.” In den siebziger Jahren habe man noch die Sümpfe trocken legen und zu Farmland machen wollen. Inzwischen hätten sich jedoch schon 90 Bauern vom WWF zu speziellen Fremdenführern für Ökotouristen ausbilden lassen. Die Hoffnungen der Menschen konzentrierten sich jetzt auf den Tourismus.

 

Der Einsiedler lässt bitten

 

In seiner kleinen Hütte wirft Krzysztof Kawnczynski eines der drei Grammophone an. „Der Kuckuckswalzer”, sagt der Mann, den sie im Biebrza-Tal nur den König nennen. Drei kleine Zimmer hat sein Palast, und die gleichen einem Kuriositätenkabinett. Das Telefon ist 70 Jahre alt, und so sieht es auch aus. „Aber es funktioniert”, erklärt der 49-Jährige stolz. In der Ecke liegt der Zahn eines Mammuts. Nichts Besonderes, beschwichtigt der König. Ein Freund hätte ihn mal in der Gegend gefunden. Außergewöhnlicher ist da schon die Bibel, die auf dem Tisch liegt: ein Originaldruck von 1592.

 

Dominik Baur

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